Über die Fotografie von verlassenen Orten, dabei vor allem den ehemaligen GSSD Kasernen in Ostdeutschland, bin ich in den letzten Jahren auch dazu gekommen am 9.Mai zu fotografieren. Der 9.Mai ist nicht irgendein Tag, sondern es ist der Tag an dem Russland bzw. auch einige Staaten der ehem. Sowjetunion das Ende des 2.Weltkrieges feiern. Die Alliierten feiern das Kriegende am 8.Mai. Der Unterschied ist historisch bedingt und hängt damit zusammen, dass im deutschen Reich die Sommerzeit galt und im entfernten Osten eben nicht. Im Jahr 2016 war ich mit einem befreundeten Fotografen um den 9.Mai herum in Moskau, um die große Militärparade zu fotografieren. Der 9.Mai wurde lange Zeit gar nicht mehr gefeiert und auch die militärische Präsentation auf dem Roten Platz war zwischenzeitlich ausgesetzt. Wie man jedes Jahr sehen kann, hat sich das mittlerweile deutlich geändert. An diesem Tag präsentiert Russland seine militärische Stärke. Der sog. Tag des Sieges wurde von Wladimir Putin und der Russischen Regierung ‚reaktiviert‘ und wird öffentlichkeitswirksam für politische Zwecke instrumentalisiert. Es war sehr interessant zu sehen wie gut das Vorhaben funktioniert und die Russen aus diesem Tag sogar mehr machen, als einen einfachen Volksfeiertag. Man hat dort das Gefühl, dass sich mittlerweile der ganze russische Stolz auf das eigene Land in diesem einen Tag widerspiegeln. Für einen Deutschen der so viel Nationalismus eigentlich nur aus dem sonntäglichen Weltspiegel kennt, ist dieser Tag in gewisser Weise ein Freakshow. Die Identifikation der Leute mit dem Tag, ihrem Land, ihrem Militär und ihren Vorfahren ist umfassend und kann auch recht gut fotografisch festgehalten werden. In Zeiten von Instagram und anderen sozialen Netzwerken ist das einer wichtigsten Tage im Jahr auch vieler junger Russen. Jeder möchte sich fotografieren (Selfies) und hat auch kein Problem damit fotografiert zu werden, weil man etwas präsentiert worauf man Stolz ist. Die Zeichen des Tages sind überall zu sehen. Nicht nur die Soldaten der Militärparade stecken in einer Uniform, sondern auch viele Besucher. Das fängt an bei den kleinsten, am besten schon unterwegs im umgebauten Panzerkinderwagen und geht weiter bis zu den hochdekorierten Veteranen, welche an diesem Tag besonders beliebt sind. In diesem Jahr war ich nun in Berlin am Treptower Ehrenmal und konnte mir ein Bild davon machen, wie der 9.Mai außerhalb von Russland gefeiert wird. Aus historischen Gründen leben in Ostdeutschland und auch in Berlin immer noch sehr viele Russen. Am 9.Mai wird das sehr deutlich, wenn man sieht, wie tausende Russen zum Ehrenmal pilgern und das gleiche machen, wie Ihre Genossen in Moskau. Auch hier heißt es wieder verkleiden, sich fotografieren lassen und zeigen, dass man dazu gehört. Für einen Fotografen ist dieser Tag wie gemacht. Die Menschen sind durchweg bereit sich für ein Portrait fotografieren zu lassen. Aber nicht nur die Portraits mit den Menschen in ihren Uniformen sind interessant, auch die sozialen Interaktionen an diesem Tag sind es Wert festgehalten zu werden. Da sind zum Beispiel die in Uniform gesteckten Kinder, welche von ihren Eltern fotografiert werden und wahrscheinlich noch gar nicht so richtig wissen, was gerade mit ihnen passiert. Interessant wird es auch dann, wenn die jüngsten anfangen auf dem ausgestellten Militärgerät zu spielen. Die Älteren sitzen derweil im Schatten, singen russische Volkslieder, trinken Wodka und essen mitgebrachtes Essen. Über den Tag ist es natürlich auch ein Kommen und Gehen von verkleideten Menschen, welche kurz das Selfie des Tages machen müssen. Insgesamt wirkt es oft sehr unkritisch, wie die Menschen mit dem 9.Mai umgehen. Natürlich gibt es auch das Gedenken an die gefallen Soldaten und auch politische Reden, welche die Vergangenheit thematisieren. Was von dem Tag bleibt, ist aber oft etwas anderes, was auch daran liegt, wie der 9.Mai über die letzten Jahre politische instrumentalisiert wurde. Letztlich ist es aber genau dieser Zusammenhang, welcher den Tag für einen Fotografen interessant macht.
Gear
Rolleiflex 3.5F
Film: Ilford FP4+